Esther Perbandt exklusiv für tip:
Das ist ihr Hauptstadt-T-Shirt
Esther Perbandt wurde Mitte der 1970er-Jahre in West-Berlin geboren. Nach dem Abitur studierte sie Modedesign in Berlin, Paris und Moskau. Perbandt ist mit eigenem Laden und Atelier in Mitte angesiedelt und arbeitet interdisziplinär, sie organisierte Modeschauen in der Volksbühne und kooperiert mit dem Berghain-Türsteher Sven Marquardt. Internationale Aufmerksamkeit bekam sie nicht zuletzt dank der Mode-Show „Making the Cut“ auf Amazon Prime. Für den tipBerlin hat Perbandt gerade ein exklusives T-Shirt entworfen. Anlässlich des Verkaufsstarts sprachen wir mit der Frau, die weltweit als Symbol für den „Berlin Style“ steht.
Esther Perbandt ist eine der prägnantesten Modeschöpferinnen unserer Zeit
„Imma uff Kante jenäht“, steht auf dem T-Shirt, das Esther Perbandt für den tipBerlin entworfen hat. Die Berlinerin ist eine der prägnantesten Modeschöpferinnen unserer Zeit. Bei dem Wettbewerb „Making the Cut“, der als Serie auf Amazon Prime lief, stellte sie sich einem modeinteressiertem Publikum auf der ganzen Welt vor. Trotz aller Überredungsversuche blieb sie ihrem „Esther Perbandt Universe“ treu. Dort dominieren schwarz und weiß, keine Farben oder Zwischentöne. Kreativität und Geradlinigkeit machten sie zum Liebling der Jury um Supermodel Naomi Campbell und der Moderator:innen Heidi Klum und Tim Gunn. Sie ist eben wie Berlin. Eigensinnig und Konsequent, eben uff Kante jenäht.
Das ließe sich auch über den tipBerlin sagen. Das Stadtmagazin berichtet seit bald 50 Jahren aus und über die Stadt. Esther Perbandt und tipBerlin – das Magazin und die Modemacherin: ein „match made in heaven“. Beide kommen ursprünglich aus West-Berlin. Beide sind seit dem Fall der Mauer in ganz Berlin zuhause. Esther Perbandt jetzt in Mitte, der tipBerlin erst in Tiergarten, dann am Alex und gerade auf dem Weg von Charlottenburg in den Wedding.
Die Idee zum gemeinsamen T-Shirt-Projekt kam in Vorbereitung des 50. Geburtstags vom tipBerlin im kommenden Jahr. Es sollte kein Promotionsprodukt werden, sondern eine Kooperation auf Augenhöhe. So wie die Redaktion immerzu auf Berlin blickt, fragten wir Esther Perbandt nach ihrer modischen Perspektive auf die Stadt. Das Ergebnis ist ein weißes T-Shirt mit einem Berlin-Motiv, das für „Perbandts Berlin“ steht. Wir wollten aber noch mehr über die Frau hinter dem T-Shirt erfahren, wir wollten wissen, wie sie zu einer der interessantesten Modedesignerinnen des Landes wurde und ihre ganz persönliche Berlin-Geschichte erfahren.
Frau Perbandt, Sie sind als Modemacherin bekannt geworden. Schwarz ist ihr Markenzeichen. In gewisser Weise stehen sie für den Stil dieser Stadt. Wie viel Berlin ist in Esther Perbandt drin?
Ich bin ein Kind der Mauerstand, 1975 in Charlottenburg am Ende der Suarezstraße aufgewachsen, im Kiez rund um den Lietzenseepark. Wenn ich das heute jemandem erzähle, ist die Reaktion ‚ah so, richtig gutbürgerlich‘. Das war damals nicht so, das war die Studentengegend, wenn ich zur S-Bahn ging, musste ich über den Stuttgarter Platz, quer durchs Rotlichtviertel, wo auch die Kommune 1 mal gewohnt hat. Es gab viele türkische Berliner und Berlinerinnen in der Nachbarschaft. Wir hatten zwar so eine riesige Berliner Altbauwohnung, wie man es sich vorstellt, das war aber tatsächlich die WG meiner Eltern, mit Mitbewohner und allem. Noch in meiner Grundschulzeit studierten meine Eltern noch.
Sie wurden in diese Studenten-WG Ihrer Eltern reingeboren?
Total, der Mitbewohner meiner Eltern kümmerte sich um mich und meine Schwester. Es war nicht so, dass Papa arbeiten ging und Mutti zuhause gekocht hat, wir waren Schlüsselkinder, mussten immer im Haushalt mithelfen und wenn wir Hunger hatten, holten wir uns Bofrost-Gerichte aus der Tiefkühltruhe. Apropo Papa und Mutti, ich habe mein Leben lang (bzw eher ihr Leben lang) meine Eltern mit ihren Vornamen angeredet. Mama, Papa oder ähnliches habe ich nie verwendet. Auch das vermutlich ein Teil neuer Erziehungsmethoden.
Hatte die Mauer damals auf Sie als Kind besonderen Eindruck gemacht?
Wir hatten so ein Ferienhaus im Fichtelgebirge und wenn wir West-Berlin verlassen haben, mussten wir über die Transitstrecke fahren. Da stand man stundenlang an der Grenze und ich erinnere mich an so ein kleines überdachtes Fließband, über das die Pässe von einem Grenzhäuschen zum anderen befördert wurden. Das fand ich superspannend. Die Mauer empfand ich aber nicht als Bedrohung, sie gehörte dazu.
Zum Leben in West-Berlin?
Was ich an West-Berlin toll fand, war das endlose Telefonieren. Ein Gespräch kostete nur 20 Pfennig, egal wie lang es war. Ich habe mit meinen Freundinnen stundenlang gequatscht, wir haben zusammen Fernsehen geguckt, sind zwischendurch auf Toilette gegangen oder haben uns was zu essen gemacht. Als die Mauer fiel war das ein großes Drama, weil die Taktung eingeführt wurde, was ich aber ignoriert habe und die Telefonrechnung plötzlich astronomisch hoch war.
Dann fiel die Mauer, wie haben Sie damals in den frühen 1990er-Jahren die Veränderungen erlebt?
Den Osten bekam ich erst später mit, Anfang der 1990er hatte ich mit meinen Freunden eine Band. Das war wie eine Ersatzfamilie für mich. Wir hießen Quo Vadis, ich spielte Schlagzeug und sang im Background, unser Sänger gründete ein Label, eine Freundin machte die Grafik, spielten ganz kleine Konzerte vor 20 oder 30 Leuten. Irgendjemand hat uns mal mit den Ton Steine Scherben verglichen, die Texte waren sehr politisch, deutscher Liedermacher-Rock.
War die Erfahrung mit der Band der Beginn ihrer Kreativität?
Nein, das begann schon in der Grundschule. Ich bin ohne Fernseher aufgewachsen, meine Eltern waren dagegen, das waren 1968er-Erziehungmethoden. Sie wollten uns zu mehr Eigenverantwortung aber auch zu mehr Kreativität anleiten, deshalb hatten wir auch eine riesige Verkleidungskiste voll mit allen möglichen absurden Klamotten. Eines Nachmittags habe ich mich mit zwei Freundinnen als Türkinnen verkleidet. Jogginghose und Röcke drüber, den Körper verstecken und natürlich das Kopftuch. Wir sind dann los, zum Stutti und weiter zum Ku’Damm, Bus gefahren und taten so, als würden wir türkisch sprechen.
Und was ist dann passiert, gab es Reaktionen?
Nicht so richtig, heute würde man dafür Ärger bekommen. Wir haben uns aber nicht lustig gemacht, wir wollten erfahren, wie es ist, in eine andere Identität zu schlüpfen. Ich lebte ja mittendrin, die Hälfte meiner Mitschüler war türkisch, trotzdem kannte ich ihr Leben überhaupt nicht. Wir wollten wissen, wie es sich anfühlt, türkisch zu sein, wir wollten es verstehen.
In eine andere Identität zu schlüpfen und das ganz klar über die Kleidung, die Verkleidung, zu tun. Hat sich da schon Ihr Interesse für Mode entwickelt, als sie merkten, wie stark Kleidung und Identität miteinander verflochten sind?
Ich vermute es. Das türkische Beispiel ist nur eins. Aber ich habe schon sehr früh Spaß daran gehabt, andere Identitäten anzunehmen und das über den Wechsel von Kleidung. Das hat zu meinem Berufswunsch geführt. Mit zwölf wollte ich Kostümdesignerin werden, habe ein Schülerpraktikum in der Schaubühne bei einer Kostümbildnerin gemacht. Dann als Teenager auch viel an mir selbst ausprobiert, Irokesenschnitt, Haare gefärbt, zerrissene Vintage-Sachen angezogen. Meine Klassenlehrerin am Gymnasium hat das mal als „Trümmerfrauen-Look“ bezeichnet.
Und so kamen Sie an die Hochschule der Künste wo Sie Modedesign studierten?
An der Universität lernte ich eine viel größere Welt kennen. Während des Studiums war ich um 1999 in Sankt Petersburg und in Moskau und das hat mich sehr inspiriert. Da habe ich für den russischen Künstler Gosha Ostretsov gearbeitet, der sah sich als Sohn der russischen Avantgarde der 1920er-Jahre. Er war Bildhauer, Maler, hat Comics gezeichnet, war zugleich der Stylist für die russische „Vogue“.
Begannen Sie damals schon, einen eigenen Modestil zu entwickeln?
Die Zeit hat mich so inspiriert, dass ich die russische Avantgarde zum Thema meiner Abschlussarbeit gemacht habe. Den Einfluss sehe ich bis heute noch in meiner Mode, das Konstruktivistische, Strenge, Uniformmäßige, Hochgeschlossene. Was ich heute mache, ist nicht nur das Ergebnis meiner Berliner Biografie, sondern es sind die drei Städte, in denen ich mehr Zeit verbracht habe.
Moskau, Berlin und…?
Paris. Aus Berlin stammt das Rockige, Punkige, Freche. Aus Moskau das was ich gerade beschrieben habe und dann kommt noch Paris hinzu, wo ich meinen Master gemacht habe, das hat den Feinschliff gegeben, so kam das Edle, Elegante und Feminine hinzu.
Fertig ist der Esther-Perbandt-Stil?
(lacht) Ich musste mich schon dahinarbeiten. Am Anfang war es bei mir noch sehr farbenfroh, das habe ich aus Frankreich mitgebracht und nahm das mit rein, bis ich dann merkte, komisch, ich ziehe mich selbst immer nur schwarz an, warum hängt hier eigentlich dieses bunte Zeug. Wenn man so naiv wie ich anfängt, braucht es manchmal eine Weile bis man seine eigene unverkennbare Handschrift gefunden hat.
Man kennt Sie nicht nur aus der Berliner Modeszene, sie hatten Schauen in der Volksbühne und nahmen an der Amazon-Prime-Show „Making the Cut“ teil, einem Wettbewerb für Modemacher und Macherinnen aus aller Welt. Nur der kleine Laden in Mitte, wäre Ihnen zu klein?
Diese Querverbindungen sind mir wichtig, weil mir nur Mode dann doch zu wenig ist. Deshalb habe ich zwei große Schauen in der Volksbühne gemacht, ich brauche Input von anderen und arbeite gerne interdisziplinär. Dieses Jahr hatte ich in Leipzig eine Ausstellung, für die ich Kunst gemacht habe und keine Mode. Ich nannte das „Haute Couture für die Wand“. Mir war wichtig, mich für eine Zeit von meiner eigentlichen Arbeit zu entfernen, so entstanden diese textilen Skulpturen, ich wollte aber, dass sie rückführend wieder meine Mode beeinflussen und das ist sehr gut aufgegangen.
Sie gelten auch als die Berliner Modedesignerin, die der Clubkultur, dem Nachtleben und vor allem dem Berghain am nächsten steht.
Das ist so lustig, weil ich in meinem Leben vielleicht viermal im Berghain war. Mit Sven Marquardt bin ich auf einer künstlerischen Ebene befreundet und schätze seine Meinung und seinen Blick sehr, sein Gespür für Mode, aber da geht es nicht um Clubkultur. Er hat mal über unsere Freundschaft mal gesagt, dass sie ihn an die Freundschaft von Patti Smith und Robert Mapplethorpe denken lässt. Aber meine Mode eignet sich vielleicht nicht unbedingt für eine Clubnacht, um sie 12 Stunden lang irgendwo tanzend durchzuschwitzen. Aber das kommt vielleicht auf das Budget drauf an, was einem eine unvergessliche Clubnacht in Berlin wert ist.
Trotzdem symbolisiert Ihre Marke dieses speziellen Berlin-Gefühl. Sehen Sie sich als Mode-Botschafterin dieser Stadt?
Das kann ich selbst nicht sagen, aber ich merke, dass es dieses Feedback gibt. Nur woher? Natürlich, sind meine Sachen schwarz, auf ihre Art mystisch, avantgardistisch, sie haben mit der Nacht zu tun. Das ist aber meine Mode, so bin ich, es war nicht mein Ziel, Berlin als Aushängeschild zu benutzen. Doch wenn man mich als Botschafterin der Berliner Mode sehen will, dann bin ich das gerne, ich stehe zu Berlin, das ist mein Inspirationsort.
In „Making the Cut“ waren Sie als einzige Modedesignerin aus Deutschland tatsächlich eine Art Botschafterin. Sie belegten dort den zweiten Platz. Wie war Ihre Erfahrung mit der Streaming-Mode-Doku-Show?
Es war eine sehr wichtige Erfahrung, bei der ich sehr viel über mich selbst erfahren habe, übers Business und wie ich es weiterführen möchte. Das schönste Geschenk war, dass ich diese zehn oder zwölf Wochen, die wir gedreht haben, nur kreativ sein durfte. Ich musste keine E-Mails beantworten, nicht ans Telefon gehen, keine Produktionen organisieren, Buchhaltung machen, nichts. Ich wurde mutiger, weil es dort diese sehr speziellen Aufgaben gab und ich einfach losgelegt hab. „Wir haben nichts zu verlieren außer unserer Angst“. 20 Meter Tüll und Pailettenstoff kaufen und einfach mal ein Haute Couture Kleid machen! Das war ein Meilenstein für mich, dieser Mut wirkt immer noch nach.
Wie soll es denn mit Esther Perbandt und dem Modebusiness weitergehen?
Ich will natürlich, dass die Marke wächst und dafür muss ich die Produktpalette erweitern. Ich würde gerne mit anderen Materialien Arbeiten, mit Porzellan vielleicht, ich habe große Freude an Kooperation. Mein Stil ist sehr klar und ich hätte Lust, diesen Stil auf andere Dinge zu übertragen. Es könnte eine sportliche Kollektion sein, ein Fahrrad, Parfüm, Interieur Design und ich träume davon Kostüme für eine Oper entwerfen zu können.
Wir empfehlen Sie an Barrie Kosky von der Komischen Oper, vielleicht findet er die Idee gut! Aber lassen Sie uns zum Abschluss über die Zusammenarbeit mit dem tip sprechen.
Ohne zu wissen, was da auf mich zukommt, habe ich gleich ja gesagt. Ich bin mit dem tip großgeworden. Der tip. und ich haben unsere Geschichte mit dieser Stadt und ich fand ein gemeinsames Projekt sei eine schöne Idee. Wir wollten etwas schaffen, was von meinem Berlin erzählt, wir haben nach Elementen und Inspirationen gesucht, die 1920er-Jahre, der Stummfilm „Berlin, Symphonie einer Großstadt“, alte Art-Deco-Poster, aber es sollte nicht aus der Vergangenheit sein, sondern ins heute übertragen werden und da kamen solche Symbole wie Polizeihelm von den 1.-Mai-Demos, Bierflaschen, Sprühdosen, Schallplatten, Musik, daraus entstand ein Artwork, das meine Geschichte mit Berlin erzählt.